Die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Carolin Wagner hat sich in einem offenen Brief an ihre Bundestagskollegen Peter Aumer (CSU) und Ulrich Lechte (FDP) gewandt mit dem Appell, den Unionsanträgen zur Migrationspolitik in dieser Woche im Bundestag nicht zuzustimmen. Hier der Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Aumer, lieber Peter,
sehr geehrter Herr Lechte, lieber Uli,
ich schreibe euch, weil ich äußerst besorgt bin über die zu erwartenden Abstimmungen über die Anträge bzw. den Gesetzentwurf zur Migrationspolitik der Union. Ich kann nur dringend an euch appellieren, euch die Folgen dieses Antrages zu vergegenwärtigen, seine Wirkung in unserem Land zu bedenken und euch selbst zu fragen: Wollt ihr das wirklich?
Die AfD beging im Januar ihren Parteitag in Riesa und zeigte sich offen rechtsextrem wie noch nie. Beispielhaft für die widerwärtigen Entgleisungen sei nur das Skandieren von „Alice für Deutschland“ in offensichtlicher Koketterie mit der Losung der SA „Alles für Deutschland“ genannt. Die AfD stellt sich bewusst und offensiv in die Traditionslinie von Hitlers Schlägertruppen. Wer das für Zufall hält, belügt sich selbst und unser Land.
Unser Land belügt auch derjenige, der behauptet, die AfD ließe sich von nebenbei erteilten Hinweisen, dass sie populistisch und der politische Gegner sei, davon abhalten diesem Antrag an entscheidender Stelle zuzustimmen. Wer die AfD auf diese Weise etablieren möchte, der soll keine feigen Ausflüchte und feiges Lamentieren wählen.
Es ist kein Zufall, dass sich nur die AfD als Mehrheitsbeschafferin dieses Antrages anbietet: Dieser Antrag legt die Axt an die europäische Einigung. Diese ist – für Deutschland mehr als für jede andere europäische Nation – von überragender Bedeutung. Sie ist für Deutschland ideell, politisch und wirtschaftlich grundlegend. Im Rahmen der europäischen Einigung wurde Deutschland nach den NS-Verbrechen wieder in den Kreis der geachteten Nationen aufgenommen. In Europa findet Deutschland einen politischen Verbund, der Frieden, Ordnung und Zusammenarbeit auf dem europäischen Kontinent sichert. Und Deutschland profitiert ohnegleichen von einem schrankenlosen Markt. Diese Einigung findet ihren Ausdruck in den demokratischen beschlossenen Übereinkünften der europäischen Nationen, von denen die wichtigste die Europäische Union ist. Dieser Antrag ist ein direkter Angriff auf die europäischen Vereinbarungen, dessen Schaden für Europa und für Deutschland noch nicht abzusehen ist.
Seine Umsetzung würde nicht nur den mühsam verhandelten Kompromiss des gemeinsamen europäischen Asylsystems zerstören, sondern auch das Verhältnis zu unseren europäischen Partnern auf das Schwerste belasten. Und was wäre gewonnen? Die Migrantinnen und Migranten gäbe es weiterhin, nur würde sich jede Ordnung im Umgang mit ihnen auflösen. Das Ergebnis wäre nicht mehr Sicherheit, sondern eine Vereinzelung der europäischen Nationen zwischen denen zehntausende Menschen ohne Prüfung ihrer Anträge und ohne legale Möglichkeit sich zu ernähren umherirren würden. Niemand kann ernsthaft annehmen, dass dies unser Land sicherer machen würde. Allerdings wäre Deutschlands Behauptung, ein liberaler Staat zu sein, welcher die regelbasierte Ordnung verteidigt, lachhaft und unwürdig geworden. Die Folgen dieser chaotischen Zustände sind der AfD egal: Dort ist das Chaos gewünscht, weil es den europäischen Zusammenhalt zersetzt und die Demokratie schwächt. Euch dürfen die Folgen jedoch nicht egal sein!
Ich appelliere daher an euch: Wir haben immer wieder zum Wohle unseres Wahlkreises ein gemeinsames Vorgehen gefunden. Jetzt steht die Frage im Raum, ob ihr die AfD im Bundestag für eure Mehrheiten nutzen wollt. Ich dachte bislang, das auch für euch gilt: Rechtsextreme dürfen im Bundestag niemals das Zünglein an der Waage sein! Ich werbe dringend darum, Wege zu suchen, die die nötigen Schlüsse aus der ungeheuren Gewalttat von Aschaffenburg ziehen und die nötigen Befugnisse, Ausrüstung, Personalstärke der Behörden zur Gewährleistung von Sicherheit zu schaffen. Sicherheit wird aber nur in Kooperation möglich sein und nicht im Chaos. Die Menschen in unserem Wahlkreis wissen, dass wir mitunter schwierige Entscheidungen treffen müssen und dass wir in der demokratischen Auseinandersetzung andere Prioritäten haben. Aber die Menschen wissen auch, dass man nicht mit denen gemeinsame Sache macht, die unsere demokratische Grundordnung abschaffen wollen. Denn das ist das Ziel der AfD.
Deshalb bitte ich euch dringend: Stimmt den Unionsanträgen morgen und am Freitag nicht zu.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Carolin Wagner, MdB